Muttertag

Meine Mutter ist schon vor 20 Jahren verstorben. Ihr Tod war der erste, der mich in meinen Grundfesten erschüttert hat. Ich hätte mir nie vorstellen können, ohne meine Mutter zu sein. Ihr Dasein war immer selbstverständlich, ihre Tür stand immer für mich offen. Vor ihrem Tod habe ich nie wirklich über unsere Mutter-Tochter-Beziehung nachgedacht und welche Bedeutung sie für mich hatte. Doch mit der Aussicht auf ihren bevorstehenden Tod hatte sich damals mein Blick auf das Leben und den Lauf der Dinge maßgeblich geändert.

Die Erinnerung an meine Mutter ist bereits sehr verblasst. Seit ihrem Tod ist soviel passiert, dass die Erlebnisse die Erinnerung an die Jahre mit ihr in großen Teilen überdeckt haben. Meine Mutter hat nicht einmal meinen Mann kennengelernt, ebenso wenig meine Töchter. Sie war also in meinen sehr ereignisreichen und prägenden vergangenen 20 Jahren nicht mehr da. An zwei Dinge erinnere ich mich aber noch ganz besonders:

Mutter sein als Lebensaufgabe

Als meine Mutter bereits sehr krank war und quasi zum Sterben nach Hause kam, holte ich sie mit aus dem Krankenhaus ab. Zu der Zeit lebte ich in einer anderen Stadt und übernachtete dann ein paar Tage bei meinen Eltern auf der Wohnzimmercouch. In der ersten Nacht, nachdem wir wussten, dass wir sie bald verlieren würden, lag ich auf der Couch und bekam sehr hohes Fieber. Mir ging es richtig schlecht. Also raffte sich meine totkranke Mutter auf und machte Wadenwickel für mich – so wie sie es immer getan hatte, als ich noch zu Hause lebte. Sie wickelte alle 20 Minuten in eiskaltes Wasser getränkte Geschirrtücher um meine Waden und legte anschließend Handtücher darüber. Sie, die wirklich schlecht zurecht war, kümmerte sich um ihr krankes Kind. Niemand konnte sie davon abhalten. Ich finde das bis heute sehr rührend. Solange es irgendwie ging, war sie in erster Linie für uns da.

Das ewige Kind in uns

Später dann, unter der Geburt meiner zweiten Tochter, rief ich lauthals ihren Namen, als ich dachte, ich ertrage den Wehenschmerz nicht mehr. Ich erinnere mich noch genau daran, dass die Worte einfach aus mir herauskamen, der verzweifelte Ruf nach der Mutter, die machen soll, dass der Schmerz aufhört. Ihren Namen nach so langer Zeit auszusprechen fühlte sich so fremd an! Und ich musste weinen, weil ich in dem Moment, mitten unter den Geburtsschmerzen, einen Trauerschub bekam. Ich trauerte darum, dass meine Mutter die mir wichtigsten Menschen niemals kennenlernen würde und ich ihr nicht von den prägendsten Momenten erzählen konnte.

Für viele ist Muttertag ein schöner Tag, für einige ein trauriger, für wieder andere ist er ein überflüssiger Tag. Heute erlebe ich Muttertag ausschließlich aus der Mutterperspektive und verbringe einen schönen Tag mit meinen Töchtern. An Muttertag denke ich aber auch an alle, die ihre Mutter verloren haben und schmerzlich vermissen. An die Mütter, die um ihre Sternenkinder trauern. An die Mütter, die ihre Kinder nicht um sich haben. Und ich denke an alle Menschen, die gern Mutter wären, es aber nicht sein können. In der Hoffnung, dass gute Wünsche und gute Gedanken, die von Herzen kommen, ein wenig Trost spenden.

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Wenn die Erinnerung verblasst

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