Die Reaktion der anderen
Manchmal hat mich das Verhalten von anderen nach dem Tod meines Mannes überrascht. Vor allem, wenn wir die anderen Menschen nicht persönlich kannten. Es gab einige Situationen, in denen ich mir vorkam wie “ein bunter Hund”. Ich wusste nie, wie ich das finden soll, vor allem, wenn ich das Gefühl hatte, das hinter unserem Rücken erzählt wird. Das ist ja auch normal - schließlich waren wir eine junge Familie, mein Mann noch jung. Aber es gab Situationen, in denen fühlte ich mich ausgegenzt, und das tat weh. Ein Beispiel ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es war zu Sankt Martin. Bei uns ist es Tradition, dass die Kindergärten und Schulen mit ihren Klassen und Gruppen kleine Umzüge durch die Stadt machen. Die Kinder singen Sankt Martins-Lieder und tragen stolz ihre selbst gebastelten Laternen. Im Anschluss gehen sie in kleinen Gruppen von Tür zu Tür und singen dort Lieder, halten dann ihre Tasche auf und die Besungenen werfen Süßigkeiten hinein. Die begleitenden Eltern warten meist mit einigem Abstand und schauen zu. Sankt Martin läutet für uns immer die traditionsreiche Winterzeit ein. Meine Töchter lieben es noch heute, auch wenn sie selbst nicht mehr singen gehen.
Gut gemeinter Abstand
Sankt Martin 2012: Die Schale war voll gefüllt mit Süßigkeiten - alles, was Kinder gerne mögen. Vor das Haus habe ich Kerzen gestellt, Laternen aufgehangen und eine Lichterkette in die Türe gehängt. Das Zeichen für all die anderen Kinder: Kommt her, ihr dürft hier singen, wir sind vorbereitet und freuen uns auf euch. Mein Mann war gerade drei Wochen vorher verstorben und ich versuchte, mit meinen Kindern soviel Normalität wie möglich zu leben. Die Kinder haben Tage vorher von den Umzügen gesprochen, immer dann haben ihre Augen gestrahlt. Sie liebten es, singen zu gehen, aber auch, den anderen Kindern bei uns zu Hause etwas in die Beutel zu werfen. Ich freute mich für sie, denn es lenkte sie ab und es tat gut, das zu sehen.
Aber dann kam niemand zu uns. Kein Kind klingelte, niemand sang. Ich schaute nach, ob die Kerzen und Lichterketten an waren. Das waren sie, aber die Eltern liefen mit ihren Kindern vorbei. Das war ungewöhnlich, aber ich dachte mir, sie müssten schnell nach Hause.
Am zweiten Tag dasselbe Spiel. Niemand kam. Ich rief eine Freundin an, die mit ihrem älteren Sohn später auch noch von Tür zu Tür ziehen wollte. Ich bat sie, doch nachher mit ihrer Gruppe vorbeizukommen und bei uns zu singen. Das taten sie dann und meine Kinder waren überglücklich, weil sie zumindest einen Teil unserer Schätze abgeben konnten. Meine Freundin berichtete mir anschließend, dass sie die anderen Eltern regelrecht überreden musste, an unserem Haus anzuhalten. Die einhellige Meinung war, man dürfe bei uns nicht klingeln, weil doch gerade mein Mann verstorben war. Ich war verwirrt, denn wir hatten doch extra geschmückt, um ein Zeichen zu setzen, dass wir da sind und an der Tradition teilhaben wollen. Am Ende habe ich verstanden, dass die anderen Eltern uns nicht stören wollten. Es war gut gemeint.
Unsere Unsicherheit trennt uns voneinander
Von solchen und ähnlichen Situationen gab es noch einige. Die Menschen wissen nicht, was sie sagen sollen, wollen nichts falsch machen. Das ist total verständlich und normal - aber leider ein Zeichen dafür, dass Tod und Trauer immer noch nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wir wissen nicht, wie wir mit der Trauer der anderen umgehen sollen. Und das ist so schade, denn es trennt uns voneinander, wo wir uns doch eigentlich so gut stützen könnten. Nachdem ich verstanden hatte, dass es die Unsicherheit der anderen ist, die sie davon abhalten, mit mir zu reden, habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, selbst auf sie zuzugehen. Mit ganz normalem Smalltalk, über dies und das, ungefährliche Dinge. Ab und zu habe ich unsere Situation einfließen lassen, wenn es nötig war, aber immer so, dass die anderen sich nicht unwohl damit fühlten. Und so wurde es mit der Zeit normal.
Zusammen geht es leichter
Ich denke, für Trauernde ist es wichtig, sich zu zeigen, wenn ihnen danach ist. Um Hilfe zu bitten, um ein Gespräch, um Gesellschaft. Für die anderen ist wichtig zu wissen, dass sich Trauernde von allein zurückziehen, wenn sie Ruhe brauchen und nicht teilhaben wollen. Dass sie aber ansonsten dabei sein und ein Stück Normalität leben wollen. Vor allem, wenn Kinder im Spiel sind, ist es enorm wichtig, dass sich in ihrem Umfeld, in der Welt da draußen nichts für sie ändert - schließlich sieht es in ihrem Inneren schon durcheinander genug aus. Jeder von uns wird eines Tages mit Verlust konfrontiert. Wir können uns gegenseitig helfen, wenn wir einfühlsam miteinander sind und uns nicht voreinander verschließen <3