Meine Trauer, deine Trauer
Du ziehst dich zurück, redest nur das nötigste. Du schleichst durchs Haus, isst kaum, du bleibst in deinem Zimmer. Du bist sanft wie immer, aber du gehst uns aus dem Weg. Dabei ist das Wetter so schön, wir haben schöne Dinge vor, ich habe die Termine extra erst spät gemacht, so dass du ausschlafen kannst. Doch ich sehe dir an: Am liebsten würdest du zu hause bleiben und die Decke über den Kopf ziehen.
Mir selbst geht es gerade ganz anders. Ich freue mich über die Sonne, den Frühling. Ich freue mich darüber, endlich wieder raus zu kommen, neues zu sehen und zu erleben. Raus aus dem Winterschlaf, endlich wieder den ganzen Tag draußen sein ohne zu frieren, endlich wieder ohne Socken in die Turnschuhe - ich freue mich über die kleinen Dinge. Doch dein Anblick wirft Schatten auf mein Gemüt, ich fühle deine Schwere, deinen Kummer. Ich frage mich: Ist es die Pubertät? Die Trauer? Und schon geht es in mir rund. Ich stürze mich auf die Antwort “Trauer” und werde ungeduldig. Warum jetzt? Warum schon wieder? Es ist doch so schön gerade! Ich fühle mich sogar ungerecht behandelt - als sei das, was ich als Mutter biete, nie genug. Nie genug, weil es deinen Vater nicht mehr gibt. Ich kann mich abstrampeln wie ich will, es ist nie genug. Kann deine Trauer nicht aufhören? Es ist so anstrengend.
Stopp: Ich weiß, dass es bei deiner Trauer nicht um mich geht. Es geht nicht darum, dass ich zu wenig bin oder zu wenig für dich da bin. Es geht um dich, um deine Trauer, deinen Moment. Es gab sicher etwas, das dich getriggert hat. Etwas, das dich deinen Vater sehr vermissen lässt. Das dich die Einsamkeit fühlen lässt. Ich kenne das Gefühl ja selbst. Und trotzdem fällt es mir jetzt gerade schwer, deine Trauer auszuhalten…
Wir trauern alle, sind aber nicht immer zurselben Zeit traurig
Manchmal kommen wir an unsere Grenzen. Immer dann, wenn wir zu unterschiedlichen Zeiten trauern. Dann ist die große Herausforderung, uns gegenseitig in unserer Trauer zu belassen, uns gegenseitig zu nehmen, wie wir gerade sind - und zwar, ohne alles auf uns selbst zu beziehen. Das ist sehr schwer. Komischerweise. Denn eigentlich kennen wir ja selbst all die vielen Momente, in denen es uns schlecht geht. Wenn wir ganz bei uns sind, in unserer Traurigkeit, in Gedanken versunken. In den meisten Fällen hat das nichts mit unserem Umfeld zu tun. Wir sind einfach nur traurig, weil wir unseren lieben Menschen vermissen. Unsere Familie versteht uns dann noch am ehesten, denn sie selbst trauern ja auch. Doch auch hier stelle ich fest: Trauer ist zutiefst individuell - und der Zeitpunkt, an dem wir alle gleichzeitig getrauert haben, war mit den ersten Tagen oder Wochen nach dem Tod verstrichen. Seitdem sind wir entweder in Trauer, oder wir fühlen uns wie “die anderen”.
Und für “die anderen” ist unsere Trauer nicht leicht. Sie spüren eine Veränderung, spüren die traurige oder negative Stimmung. Je nachdem, wie es ihnen selbst gerade geht, reagieren sie dann fürsorglich (“Was ist denn? Geht es dir nicht gut? Kann ich was machen?”), mit Ungeduld (“Langsam ist es doch aber nicht mehr so schlimm, oder? Ist doch schon so lange her.”) oder sie ziehen sich zurück und lassen uns allein (“Ich gehe dann mal. Lass uns die Tage mal sprechen.”) - alle Reaktionen sind nachvollziehbar und ok. Wichtig für uns ist, dass wir dann Rückhalt haben. Verständnis und Geborgenheit.
Ich fühle gerade nicht wie du, aber ich bin für dich da
Für mich ist es immer wieder herausfordernd, zu jeder Zeit verständnisvoll, geduldig und liebevoll mit der Trauer meiner Töchter umzugehen. Vor allem, wenn es mir selbst gerade gut geht. Ich empfinde ihre Trauer dann wie einen Sog in das tiefe Loch, aus dem ich doch gerade erst herausgekrabbelt bin und in das ich nicht zurück will.
Was mir dann hilft, ist die völlige Konzentration auf meine Töchter. Ich nehme sie in den Arm, tröste und streichele sie. Ich muss nicht viel sagen, nur halten und drücken. Es reicht, dass ich da bin. Meine Töchter wollen mir mit ihrer Trauer nicht sagen, dass ich nicht genug für sie bin. Sie wollen mir eigentlich gar nichts sagen. Sie fühlen nur. Und dieses Gefühl ist nicht schön. Was ich tun kann ist, sie in diesen Momenten nicht allein zu lassen. Sie zu halten und ihnen zu zeigen: Du bist nicht allein. Manchmal ist das alles, was wir brauchen - und auch alles, was wir tun können. Es scheint wenig zu sein, aber es macht in diesen Momenten genau den einen wichtigen und wertvollen Unterschied.